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Torugart

Torugart

18. Oktober2014

Wir sind gerade völlig entspannt und genießen die grüne chinesische Landschaft, an der wir in unserem Zug vorbeirauschen. Nach 3 Monaten Steppen- und Wüstenlandschaft ist es eine wahre Wonne wieder so viel Grün auf einmal zu sehen. Selbst in den Bergen von Kirgisistan begrüßten uns stets nur braungelbe Wiesen und Weiden, da der Sommer wohl wärmer als gewöhnlich gewesen war. Wir sind im Moment im Zug von Kashgar nach Chengdu. Vom Westen Chinas in den Südosten. Unsere Zugfahrt dauert insgesamt etwa 3,5 Tage und wir legen damit mehr als 3500 km zurück. Normalerweise würden wir für diese Strecke mit dem Rad so ca. 3 Monate brauchen. Da wir allerdings nur ein 60 Tage Visum für China haben und auch in tropische Regionen für den nahenden Winter flüchten wollen, haben wir uns für die “Raum- und Zeitkapsel” Zug entschieden. Wir haben endlich mal wieder viel Zeit uns über die bevorstehenden Regionen und Länder zu informieren und freuen uns schon wieder auf unsere Drahtesel zu steigen. Von denen mussten wir uns in Kashgar trennen, denn die Fahrradmitnahme im gleichen Zug ist nicht möglich. Stattdessen gibt es einen Bahn-eigenen Postdienst bei dem wir unsere Fahrräder aufgeben konnten. Laut Angaben der Postbeamten müssten sie schon auf uns in Chengdu warten, und so können wir hoffentlich direkt zu unseren Couchsurfing-Hosts fahren.

Unsere spontane Entscheidung, mit Lili und Dani den Torugart-Pass nach China zu bezwingen haben wir zu keinem Zeitpunkt bereut. Es war eine unglaubliche Erfahrung, bei kalten Temperaturen und immer dünner werdender Luft den ganzen Tag langsam und stetig bergauf zu fahren bis wir auf 3750 m Höhe schließlich die chinesische Grenze erreicht hatten. In Naryn starteten wir auf einer Höhe von 2000 m bei wechselhaftem Wetter. Wir waren alle voller Euphorie, dass es nun unerwartet doch schon so schnell nach China ging. Immer wieder malten wir uns aus, was wir alles dort essen können und welche Supermarkt-Paradiese dort auf uns warten würden. Nach Monaten mit Schisch-Kebap, Plow, Lagman und Manti in den zentralasiatischen Ländern freuten wir uns mal wieder auf etwas mehr Auswahl in den chinesischen Restaurants. Kaum hatten wir den ersten Pass auf 2700 m überwunden, fing es an stark zu regnen. Bei der langen Abfahrt bis auf 2100 m und dem starken Seitenwind brauchte es nicht lange, bis wir alle durchnässt und kalt waren. Wir brauchten dringend einen trockenen Platz für die Nacht, um uns aufzuwärmen. Also entschieden wir uns, in der letzten Stadt vor der Grenze Chinas nach einer Unterkunft zu suchen. Viel Auswahl hatten wir nicht, denn Al-Bashi hat genau ein Hotel. Für 6$ pro Person hatten wir so einen warmen und trockenen Platz für die Nacht. Es gab zwar keine Dusche und auch kein warmes Wasser, auch die Heizung war noch nicht angeschaltet… aber auf einem mobilen Heizkörper konnten wir unsere nassen Socken, Schuhe und Handschuhe trocknen und es wurde gemütlich warm. Auf der Suche nach einer Unterkunft hatten wir Erica und Tamara kennengelernt – zwei Amerikanerinnen, die für Peace-Corps in Al-Bashi seit einigen Monaten arbeiteten. Sie luden uns für den Abend ein, sie zu begleiten: Es war Opferfest! Etwa drei Monate nach Beginn des Ramadans wird in Gedenken an Abrahams Opferprobe ein Tier geschlachtet und teils an ärmere Menschen verschenkt und teils mit Freunden und Familie verspeist. In Kirgisistan wird dieses heiligste Fest der Muslime so begangen, dass jeder mindestens 7 Freunde, Nachbarn oder Familienangehörige besucht. In jedem Haus wird also der Tisch reich gedeckt und Freunde und Familie gehen den ganzen Tag ein und aus. Ein wenig organisatorischer Aufwand ist auch nötig, denn der Besuchte muss ja wiederum auch andere besuchen. Wir begleiteten Erica und Tamara zu zwei ihrer Nachbarn und aßen Plow, Gebäck, Obst und Süßigkeiten und wärmten uns am Chai. Da es spät am Tag war, war niemand anderes außer uns hungrig. Der Höflichkeit halber muss aber zumindest ein Löffel Plow und ein kleines Stück Fleisch gegessen werden. Während also alle höflich an ihrem Essen knabberten, verschlangen wir hungrig große Mengen Plow und andere Leckereien. Mit vollen Bäuchen und gut aufgewärmt schliefen wir sehr gut in unserem “Luxus”-Hotel.

Am nächsten Tag begann die lange aber seichte Steigung auf 3750 m. Wir hatten Glück mit dem Wetter und bekamen keinen Regen zu sehen. Die Landschaft war auch wunderschön: herbstliche Farben schmückten die Bäume am Straßenrand und Wolken hingen in den hohen Bergen, die wir in der Ferne um uns herum sahen. Weniger Glück hatte dagegen Dani an diesem Tag mit seinem Fahrrad. Nach einer kurzen Trinkpause hatte er auf einmal einen Platten im Vorderreifen. Der war schnell unter den neugierigen Blicken der anwesenden Kirgisen geflickt und wir fuhren weiter. Schon nach wenigen Kilometern bemerkte Dani dann ein andauerndes “Pling” bei jeder Radumdrehung. Eine Speiche war gebrochen. Wir schoben die Räder noch ein wenig von der Straße runter auf eine weite trockene Ebene und machten Schluss für den Tag bereits nach 22 km. Leider war die gebrochene Speiche nicht zu ersetzen, da sie am Hinterrad auf der Seite der Kassette war. Die Kassette konnten wir trotz Werkzeug nicht entfernen, und somit auch nicht die neue Speiche einbauen. Das Rad wurde wieder eingebaut und der Pass musste mit einer Speiche weniger bezwungen werden.

Ohne weitere Pannen ging es zum ersten Zwischenpass auf 3280 Meter. Die schneebedeckten Gipfel der umgebenden Berge kamen immer näher. Kurz vor dem Pass kamen wir in einen kleinen Hagelschauer der genauso plötzlich aufhörte wie er gekommen war. Das Wetter wurde immer unberechenbarer und auf der riesigen Hochebene nach dem Pass konnten wir den in der Ferne herunterkommenden Regen genauso wie den strahlend blauen Himmel etwa 2 km weiter gut beobachten. Wir hatten Glück und wurden von weiteren Schauern erst einmal verschont. Am späten Nachmittag stellten wir unser Zelt auf 3300 Metern auf. Auf einer solchen Höhe hatten wir bis dahin nicht gezeltet. Die Nacht sollte eine Bewährungsprobe für unsere Ausrüstung sein. Unsere ursprüngliche Routenplanung hatte keine Berge dieser Höhe vorgesehen, und erst recht nicht das Zelten dort im Oktober. Dementsprechend haben wir unsere Schlafsäcke mehr nach Leichtigkeit als nach Wärmefähigkeit bei extremen Situationen ausgesucht. Direkt nach dem Essen hat uns dann eine riesige dunkle Wolke eingeholt und wir flüchteten alle ins Zelt, obwohl es gerade mal 18 Uhr war. Gerade rechtzeitig entgingen wir einem starken Hagelschauer der später in leichten Schneefall überging. Wir fuhren alle Geschütze gegen die Kälte in der Nacht auf. Lange Unterhosen, T-Shirt, Fleecejacken, Fleeceschlafsack (Bine) und ein großer Daunenschlafsack (unsere beiden Schlafsäcke zusammen gemacht), in dem zwei Platz finden. Unser Plan ging auf. Es war zwar ein wenig kühl aber wir konnten trotz Minusgraden gut schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir dann mit einer wunderschönen Schneelandschaft bei strahlend blauem Himmel belohnt. Wir ließen uns aufwärmen und unser Equipment bei einem ausgedehnten Frühstück ordentlich trocknen.

Die restlichen 40 km bis zum kirgisischen Grenzposten vergingen wie im Flug, denn wir hatten sehr kräftigen Rückenwind. Man wollte gar nicht lange stehenbleiben, denn dann merkte man die eisige Kälte des Windes auf 3500 Metern am ganzen Körper. Auf der gesamten Strecke von Al-Bashi bis zum Grenzposten hatten wir so gut wie überhaupt keinen Verkehr. Die Grenze war sowieso geschlossen und etwas anderes wichtiges gibt es nach Al-Bashi nicht, so dass wir die Straße meistens für uns hatten. Die fünf Tage waren ein schönes Erlebnis, aber wir waren auch froh am Grenzposten angekommen zu sein. Dort konnten wir uns nämlich in einem alten Container bei Chai und Mante aufwärmen, während draußen der eiskalte Wind um die an der Grenze wartenden LKWs peitschte. In der Nacht mussten wir zum Glück nicht unser Zelt aufstellen, sondern konnten zu viert im Nachbar-Container ein 6 qm Zimmer beziehen. Wir waren sehr froh über diesen Luxus und genossen unseren letzten Abend in Kirgisistan vor einem Elektroofen Marke Eigenbau.

150 Meter lagen noch vor uns bis zur Grenze, und die waren nochmal für uns ein besonderes Abenteuer. Nachdem wir innerhalb von 10 Minuten durch den kirgisischen Grenzposten gewunken wurden, mussten wir noch ca. 6 km bis zur Grenze fahren. Der Rückenwind des letzten Tages blies uns jetzt allerdings immer wieder fast vom Fahrrad oder in die rasant überholenden LKWs hinein. Die Straße wurde auf Grund von Bauarbeiten zu einer Lehmstraße. Nach einer halben Stunde Fahrradfahren wurde uns die ganze Sache zu gefährlich. Die LKWs schienen keine Rücksicht zu nehmen und sorgten mit ihren knappen Überholmanövern für zusätzliche Luftverwirbelungen, die uns auf dem schlechten Untergrund noch mehr als sonst in Gefahr brachten. Wir hatten noch viel Zeit bis zum Treffen mit unserem chinesischen Taxi und beschlossen die Räder sicherheitshalber zu schieben. Kurz vorm Torugart-Pass kamen wieder all die LKWs in Sicht, die sich vorher so beeilt hatten. An der Grenze, die oben auf dem Pass verläuft, hieß es für sie wieder Schlange stehen. Wir fuhren mit guter Laune an ihnen vorbei und genossen die letzten Meter bis China. Oben angekommen mussten wir allerdings erst einmal warten, denn unser Taxi war noch nicht da. Wir waren nicht die einzigen die dort in der Kälte (-5 °C mit starkem Wind und Sonnenschein) ausharren mussten. Die chinesischen Grenzposten hatten die Arbeit nach den Feiertagen wohl später als normal aufgenommen und so war kein Taxi pünktlich. Nach 2 Stunden Warten kamen die ersten Fahrzeuge die Passstraße hochgefahren – 2 Busse. “Ok, wohl nicht für uns” dachten wir und haben uns schon mental auf eine längere Wartezeit eingestellt. Als dann allerdings einer der Begleiter der Busse “Cyclists?” über die Grenze rief fiel uns ein Stein von Herzen. Wir hatten einen kompletten Bus nur für uns und unsere Fahrräder, welch ein dekadenter Luxus. Auf chinesischer Seite mussten wir noch 100 km mit dem Bus fahren, bevor wir in China unsere ersten Kilometer auf dem Rad machen durften. Auf diesen 100 km kamen wir durch drei Checkpoints. Unser gesamtes Gepäck wurde beim ersten und dritten Checkpoint geröngt. Uns schien das ganze Theater alles ein wenig überzogen und wir waren froh ohne weitere Probleme in China reingelassen zu werden. Um unsere Ankunft in China zu feiern luden wir unsere Räder beim nächsten Restaurant aus und machten dort unsere ersten Erfahrungen im Umgang mit Stäbchen beim Essen. Wir kommen anscheinend ganz gut damit klar :) zumindest hungern wir hier nicht – eher im Gegenteil.

Die letzten Kilometer nach Kashgar waren relativ unspektakulär. Auf einer nagelneuen Autobahn rollten wir ohne Probleme in unsere erste chinesische Stadt und gönnten uns erst einmal eine warme Dusche – die erste seit einer Woche. In unseren zwei Tagen in Kashgar haben wir uns vor allem die kulinarische Seite der Stadt näher angeschaut. Wir haben alles mögliche auf den Straßenständen ausprobiert und uns am Nachtmarkt den Bauch vollgeschlagen. Die Küche in Kashgar ist eine Mischung aus chinesischen und zentralasiatischen Einflüssen, die uns gut gefallen hat. Die Stadt selber ist inzwischen sehr modern und von der eigentlichen Altstadt ist nicht mehr so viel erhalten. Wie in vielen chinesischen Städten wurde ein Großteil der Häuser abgerissen, um Platz für Neubauten zu schaffen. Ein kleiner Teil wurde aber erhalten und so bekamen wir einen kleinen Eindruck davon, wie die Stadt ausgesehen haben muss. Die Architektur der Altstadt ist alles andere als chinesisch und erinnert uns eher an die uns bekannten zentralasiatischen Länder. Dies ist auch wenig verwunderlich, denn die Mehrzahl der Einwohner ist uigurischen Ursprungs, einer Minderheit die früher eher eine engere kulturelle Bindung an den islamischen Raum hatte als an den chinesischen. Vom Osten Chinas ist die Region um Kashgar durch die riesigen Wüsten Taklaman und Gobi abgetrennt, so dass früher der Austausch mit den westlichen Nachbarn einfacher fiel.

Diese beiden riesigen Wüsten wollten wir nicht unbedingt mit dem Fahrrad durchqueren und sind deswegen in den Zug gestiegen. Zusammen mit Lili und Dani ging es im so genannten “Hard Sleeper”-Abteil nach Urumqi, wo sich unsere Wege wieder einmal trennen sollten. Lili und Dani fuhren weiter nach Xi’an zu den alten Tonkriegern und wir nach Chengdu. Sehr wahrscheinlich werden wir uns aber irgendwo noch einmal wiedersehen, da wir alle in Richtung Südostasien wollen.

In Chengdu werden wir unsere weitere Route planen. Bisher steht nur fest: Richtung Süden soll es weiter gehen. Wir wissen aber weder, ob wir versuchen wollen nach Burma aus China einzureisen, noch ob wir China in Richtung Laos verlassen. Bis dahin liegt aber noch viel vor uns, rund 1700 – 2000 km auf chinesischen Straßen werden wir in Sichuan und Yunnan zurücklegen. Wir freuen uns schon auf das Radfahren in den grünen Regionen bei angenehmen Temperaturen weit oberhalb des Gefrierpunktes und auf einen intensiveren Einblick in die Kultur Chinas. Nächstes Mal erzählen wir euch also hoffentlich mehr zu den Menschen und der Landschaft Chinas :)

Nachtrag:

Aufgrund von einigen Anfragen geben wir euch hier noch ein paar detailliertere Infos zur Organisation der Passüberquerung nach China über den Torugart-Pass:

  • Auf chinesischer Seite wird ein Taxi-Transport für die ersten 100 km verlangt. Ohne diesen kann man die Grenze als Ausländer nicht übertreten. Um zum Pass auf kirgisischer Seite zu kommen ist kein Taxi-Transport nötig.
  • Den Transport haben wir in Naryn bei Kubat organisiert. Der Preis war günstiger als beim benachbarten CBT. Allerdings haben wir auch nur die beiden Anbieter verglichen, da es in Naryn nur diese beiden gibt.
  • Der Transport kann spontan organisiert werden. Es muss nur das gültige chinesische Visum vorgelegt werden.
  • Kosten bei 4 Personen: 100$ für den Transport (inkl. Fahrrad) pro Person, 15$ pro Person für die Ausstellung von Papieren, die belegen, dass ein Taxi auf chinesischer Seite auf uns wartet

Gefahrene Strecke

Legende

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