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Europa macht Urlaub in der Türkei

Europa macht Urlaub in der Türkei

27. Juni2014

Zu anhaltender religiöser Dauermusik über Allah, welche aus den Lautsprechern der Minarette über das karge Land um uns herum schallt, schreiben wir heute unseren Blogpost. Heute ist der letzte Tag vor Ramadan (türkisch Ramazan, gesprochen Ramasan) und alles dreht sich um dieses Fest, alle reden davon. Wir fragen uns nur, wie wird es werden? Voller aufgeregter Spannung erwarten auch wir dieses Fest und hoffen, dass es im nächsten Monat für uns keine Nahrungsbeschaffungsprobleme geben wird. Im Islam wird während des Ramadans für einen Monat während des Tages gefastet – sowohl essen als auch trinken ist untersagt. Die erste Mahlzeit des Tages wird deshalb um 4 oder 5 Uhr morgens eingenommen und abends nach Sonnenuntergang kommt dann die ganze Familie oder das ganze Dorf zusammen, um sich gemeinsam die Bäuche mit leckerem türkischen Essen voll zu schlagen. So wurde uns Ramadan zumindest immer wieder von den Türken beschrieben. Auch der Sinn dieser zunächst völlig übertrieben erscheinenden Quälerei wurde uns in vielen Gesprächen klar: Zum einen wird so der Glaube zu Allah demonstriert, zum anderen lässt dieses Fest Arm und Reich näher zusammen rücken. Durch das Fasten können reiche Menschen das Hungergefühl armer Menschen nachempfinden und am Ende von Ramadan spenden reiche Familien ein Tier, welches geschlachtet wird, um es anschließend armen Familien zu schenken. Vor allem dieses soziale Denken hinter dem Fest Ramadan ist es, was uns daran gefällt. Nach Vorhersage vieler Türken wird uns das Fest aber auch wegen der üppigen Festessen nach Sonnenuntergang gefallen. Wir sind gespannt!

Zur Freude vieler Türken oder türkisch-stämmiger Menschen fällt dieses Jahr Ramadan genau in die Zeit der Sommerferien. Wie jedes Jahr –  so erzählen sie uns immer wieder – kommen Türken, die oder deren Eltern irgendwo nach Europa ausgewandert sind, für die Sommerzeit in die Türkei. Dieses Jahr können sie somit Ramadan mit allen Brüdern, Schwestern, Onkels, Tanten, Cousinen, Cousins und mit Eltern und Großeltern feiern. Auf unserem Weg durch die kleinen Dörfer um die Stadt Konya herum konnten wir die scharenweise per Auto Anreisenden an ihren Nummernschildern identifizieren und mit vielen kamen wir zufällig ins Gespräch. In den letzten Tagen lernten wir türkische Österreicher, Belgier, Dänen, Schweitzer, Finnen und natürlich Deutsche kennen. Verschlafene Dörfer mit vielen Häusern mit heruntergelassenen Rollläden wurden innerhalb weniger Tage mit den “einheimischen Touristen” besiedelt. Nicht nur Schwimmbäder warten mit ihrer Eröffnung auf die europäischen Türken, die Geld in die ansonsten lediglich durch mühsame landwirtschaftliche Arbeit gefüllte Kassen schwemmen werden. Wir waren immer wieder sehr froh, auf die “Auswanderer” zu treffen, da diese sehr gut Englisch und manchmal sogar Deutsch sprachen, so dass wir uns mit ihnen sehr intensiv unterhalten konnten. So haben wir beispielsweise eine weitere Sichtweise auf unsere damaligen Gastarbeiter gewinnen können: Dass diese Gastarbeiter und deren Folgegenerationen bei uns in Deutschland oft nicht als Deutsche angesehen werden, war uns schon zuvor bewusst. Dass sie jedoch hier in ihren Heimatdörfern auf der anderen Seite auch nicht wie einheimische Türken begrüßt werden, hat uns doch ein wenig erstaunt. Wir stellen uns diese Situation zwischen zwei Nationalitäten manchmal nicht sehr einfach vor.

Aber ihr wollt ja Fotos sehen, also mal hin zum Konkreten: Der kleine Weg der uns sicher in das schöne Dorf Dağlat gebracht hatte, wurde nach dem Dorf vollständig zu einer Schotterpiste mit sehr groben Steinen und keinem mehr erkennbaren Asphalt. Dies machte das Fahren sehr gefährlich und führte auch zum ersten Sturz mit voll beladenen Rädern. Bereits nach zwei Kilometern rutschten Sabines Vorder- und Hinterreifen bei einer Abfahrt auf den groben Steinen unkontrollierbar zur Seite. Nach kurzer Verarztung und Begutachtung der Wunden war klar, dass außer ein paar blauen Flecken und kleineren Wunden an der Hand nichts Schlimmes passiert war. Der Schreck war größer und so schoben wir sicherheitshalber viele Teile über die Schotterpiste bis wir nach Bayat wieder auf eine größere Straße kamen. Nach Bayat verabschiedeten wir uns auch erst einmal von der hügeligen Landschaft und kamen auf die Hochebene von Konya mit einer mittleren Höhe von ca. 1000 m. Fast schlagartig wechselte die Landschaft von saftigen grünen Bergen zu sehr trockenen und kargen Hügeln, die uns immer noch 600 Höhenmeter am Tag einbrachten. Die Temperaturen kletterten tagsüber bereits um 11 Uhr auf über 30 °C im Schatten. Mindestens ebenso schnell wuchs unser Wasser- und Sonnencremeverbrauch und ebenso schnell sank die Anzahl der Brunnen am Wegesrand. In dieser Landschaft und bei den Temparaturen schien es uns fast unmöglich Landwirtschaft zu betreiben. Beim Anblick ständig bewässerter, riesiger, grüner Felder, die vereinzelt die karge Landschaft unterbrechen, wurden wir jedoch eines besseren belehrt. Die Menschen die auf diesen Feldern arbeiten sind meistens Saisonarbeiter aus Syrien / der Osttürkei. Sie wohnen in kleinen Zeltsiedlungen in der Nähe der Felder und werden LKW-weise zu den Feldern gefahren. Die Arbeiter verdienen pro Tag (12 Stunden harte Feldarbeit) 20 Lira, umgerechnet etwas weniger als 7 €. Man sah sowohl Männer und Frauen als auch Kinder auf den Feldern arbeiten. Trotz der schweren Arbeit hatten sie allerdings immer ein Lächeln und ein freundliches “Merhaba” auf den Lippen wenn wir vorbeifuhren. Unsere Hoffnungen in dieser Landschaft einen geeigneten Zeltplatz zu finden, schwanden mit jedem Kilometer. So waren wir richtig froh, als wir in Çeltik an einem Supermarkt direkt von Murat, einem Belgier auf Heimaturlaub, zu ihm nach Hause eingeladen wurden. Murat verwöhnte uns mit Internet, Dusche, einem gemütlichen Bett, leckerem Abendessen und Suppe (Çorba) zum Frühstück.

Auf unserem Weg weiter nach Aksaray kommen wir durch viele kleine Dörfer, in denen die Menschen hauptsächlich von der Landwirtschaft leben. Die Landschaft wird immer flacher und wir machen ordentlich Kilometer. Die Nacht verbringen wir im Zelt an einer Tankstelle, das Abendessen wird uns wie selbstverständlich vom Tankstellenbesitzer Ali ausgegeben. Ali ist Kurde und hat lange Zeit in Dänemark, Österreich und Deutschland gelebt und gearbeitet. Wir haben für die nächste Nacht vor, in der Nähe des Salzsees Tuz Kölü zu zelten. Kurz vor dem Salzsee treffen wir auf Hasan und seinen Sohn Husein, die in Deutschland leben und für Huseins Hochzeitsvorbereitungen in der Türkei sind. Sie ermöglichen uns eine Pause in der Mittagshitze und bieten an, uns den Tuz Gölü mit dem Auto zu zeigen. Zunächst zögern wir… Wir fragen uns, wenn wir diese Hilfe nun auch wieder annehmen, wie wir das alles in unserem Leben jemals zurückzahlen können. Da unsere Alternative jedoch schattenlose 24 km in der Mittagshitze zum See hin und zurück zu fahren heißt, nehmen wir das Angebot sehr gerne an. Bei Hasan zu Hause im kleinen Dorf Sağlık werden wir sehr herzlich von allen begrüßt. Die Großmutter erfreut sich scheinbar sehr an unserem Anblick. Sie knutscht Sabine mehrmals herzlich auf die Wange, so süß! Wir haben viel Spaß und sind beeindruckt, wie perfekt Husein nach 5 Jahren in Deutschland Deutsch spricht! Unseren Besuch zum Salzsee begleitet Huseins Onkel, der vor seiner Pensionierung bei dem dortigen Salzwerk gearbeitet hat. Leider ist der Teil des Sees jedoch für die Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr zugänglich, so dass wir “offroad” zu Ausläufern des Salzsees gelangen. Unser Versuch, zu Fuß weiter vorzudringen endet in einer gesunden und stinkenden Schlammkur für die Füße :) Nach dieser erholsamen und sehr lustigen Mittagspause rollen wir auf der Suche nach einem möglichst schattigen Zeltplatz durch die karge Landschaft und werden schließlich doch wieder eingeladen. Wir verbringen die Nacht bei Mehmet und seiner Frau Aişe in einem traditionellen türkischen Haus (wir könnten weinen, von diesem kein Foto gemacht zu haben!! Überall lagen Teppiche, und von Aişe liebevoll, selbst gehäkelte Teppiche und gestickte Dekorationen für die Polster – wunderschön!!). Die moderne Küche im Wohnhaus wird eigentlich gar nicht genutzt, statt dessen bereitet Aişe alle Mahlzeiten in der Küche in einem separaten Gebäude vor, in der sich auch ein Ofen befindet, in dem sie unglaublich leckeres Brot backt.

Am nächsten Morgen geht es sehr früh weiter in Richtung Aksaray. Wir sind schon um 7 Uhr auf den Rädern, unser persönlicher Rekord! Zum ersten Mal erwies sich unsere Routenplanung als Fehlplanung. Kurz nach Eskil schlugen wir einen kleinen Trampelpfad ein, der uns auf kurzem Weg nach Aksaray bringen sollte. Nach etwa 8 km auf sehr holprigem Untergrund in der völligen Einsamkeit kam uns ein Pickup entgegen. Die beiden freundlichen Mitarbeiter eines Stromkonzerns hielten an, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass es etwas weiter die Straße herunter von wilden und großen Hunden nur so wimmelt und wir da besser nicht durchfahren. Schnell waren unsere Räder auf den Pickup geladen und wir waren froh den Weg nicht auf den Fahrrädern zurückfahren zu müssen. Mit auf die Reise haben sie uns den Tipp gegeben, uns die Karavanserei in Sultanhanı anzuschauen. So kamen wir seit Istanbul wieder in eine touristische Gegend und wurden sogar zeitweise selbst zur Touristenattraktion einer italienischen Reisegruppe B) . An diesem Abend schafften wir es an einer Tankstelle am Rande der Autobahn in Richtung Aksaray erstmalig wieder seit 4 Tagen etwas selber zu kochen, was darin endete, dass unser fleischloses (und sehr leckeres!) Resultat argwöhnisch und interessiert von Kunden der Tankstelle begutachtet wurde. Aus Mitleid (?) wurden uns direkt die Zutaten für ein ordentliches türkisches Frühstück für den nächsten Morgen geschenkt. Die Hochebene von Konya endete am nächsten Tag nach Aksaray und der erste größere Anstieg seit einer Woche drosselte unser Tempo wieder. Als Belohnung erblickten wir kurze Zeit später die ersten Zeichen Kappadokiens: Adler nutzten die Aufwinde der zahlreichen schönen Felsformationen.

Heute haben wir das Ilharatal zu Fuß vor allen anderen Touristen erkundet. Unser früher Rythmus wurde mit ein wenig Pionierstimmung bei der Besichtigung der alten Kirchen und schönen Flusslandschaft im Tal belohnt. Inzwischen ist unser Türkisch gut genug, um nach unserer Wanderung per Anhalter zurück zum Hotel gebracht zu werden und so 10 € Taxikosten zu sparen B) . Wir haben uns an die günstigen Preise in der “normalen” Türkei schon so gewöhnt, dass wir die Preise in der touristischen Türkei unverschämt hoch empfinden, obwohl sie im Vergleich zu Deutschland immer noch sehr günstig sind. Morgen geht es weiter in Richtung Göreme, dem Herzen Kappadokiens, wo wir Thorstens Geburtstag verbringen werden.

Ein herzliches Dankeschön noch einmal für alle Einladungen und Freundlichkeiten, die uns auf unserem Weg ausgesprochen und entgegengebracht werden. Sie sind immer wieder eine große Hilfe und beflügeln uns – auch die Einladungen, die wir leider nicht annehmen können.

Gefahrene Strecke

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