Seit unserem letzten Reisebericht ist viel Zeit vergangen und so einige hundert Kilometer zählt unser Kilometerstand auf dem Tacho mehr. Von Vientiane sind wir ein Stück den Mekong herunter gefahren, um schon nach wenigen Tagen in Richtung Osten nach Vietnam abzubiegen. Innerhalb von 18 Tagen sind wir von Nordvietnam nach Südvietnam gefahren, haben unsere Füße ins wilde chinesische Meer gehalten, die Regenzeit in Zentralvietnam überstanden und viele Facetten des Landes kennengelernt. Und obwohl wir nun wieder weit weg vom chinesischen Meer sind, kommt hier in Kambodscha das absolute Urlaubsfeeling auf. Wir schlürfen Cocktails oder Fruchtshakes bei strahlendem Sonnenschein, während wir unter Palmen in der Hängematte schaukeln und den Blick über den kleinen See hier in Ban Lung schweifen lassen. Und nein, das ist jetzt nicht übertrieben! Wir sind tatsächlich mit dem Fahrrad bis in begehrte Winterurlaubs-Destinationen geradelt – ein unglaubliches Gefühl wenn wir auch nicht jeden Kilometer aus eigener Kraft bewältigt haben… wir sind trotzdem stolz!
Die Hauptstadt von Laos verließen wir mit teuren Visa für Vietnam in unseren Reisepässen und folgtem dem Mekong auf dem flachen Highway 13 Richtung Süden. Wir kamen richtig schnell voran, im Schnitt 20 km/h zu radeln war ein Klaks! Die Sonne schien angenehm warm auf uns herunter und der Fahrtwind bewahrte uns vorm Schwitzen. Rechts von uns konnten wir immer mal wieder einen Blick auf den breiten Mekong werfen und schon einmal nach Thailand auf der anderen Uferseite herüberwinken. Die Sonne tauchte die Landschaft um uns herum in ein Meer aus Gold, denn auf abgeernteten Reisfeldern standen trockene, gelbe Halme. Hin und wieder wurde das Gold aber auch unterbrochen von tiefem Schwarz. Die Laoten brennen nämlich zu dieser Zeit des Jahres ihre Felder ab, damit sie sie bald wieder neu bewirtschaften können. Nach 2 Tagen bogen wir in Vieng Kham von dem Highway 13 auf die Straße 8 ab, die uns nach Osten in Richtung Vietnam führte. Auf dieser Straße hatten wir kaum noch Verkehr, immer schroffere Berge erhoben sich um uns herum und wir genossen tolle Ausblicke auf die Karstlandschaft.
Da wir die Kong Lor Höhle anschauen wollten, mussten wir diese wunderschöne Straße verlassen und legten damit einen Umweg ein. Wir staunten nicht schlecht, als sich plötzlich eine total flache Ebene vor uns erstreckte. Die Sonne knallte auf uns herunter und es waren kaum Bäume zu sehen. Wir radelten so schnell wir konnten gegen den Wind an und hofften auf einen Schatten, um uns eine Pause von der Sonne zu gönnen. Komischerweise erblickten wir in den kleinen Dörfern, die auf unserem Weg lagen, überall Bote, die auf dem ausgetrockneten Boden nutzlos herum lagen. Wir konnten uns kaum vorstellen, dass hier mal so viel Wasser auf den Reisfeldern stehen sollte, dass die Menschen diese mit Boten befahren können, es war einfach so brutal heiß und trocken! Die Kong Lor Höhle ist ein ca. 7 km langer natürlicher Tunnel, der durch Karstfelsen hindurch führt. Durch die Höhle fließt ein Fluss, so dass man die gesamte Höhle per Boot erkunden kann. Wir kamen erst kurz vor Ende der Öffnungszeit an und so waren wir und unser Bootsfahrer die einzigen in der Höhle. Wir staunten nicht nur einmal über ihre Größe. Es war ein faszinierendes Erlebnis und auch ein wenig abenteuerlich, wenn wir aussteigen mussten, um mit vereinten Kräften das Boot über flache Stellen im Fluss zu schieben und dabei unsere Kopflampen die einzigen Lichtquellen in der totalen Dunkelheit waren.
Am nächsten Tag mussten wir die gleichen flachen 40 km wieder zurück fahren, um wieder auf die Straße 8 zu kommen. Wir fuhren früh los, um möglichst der Sonne und Hitze zu entgehen. Allerdings war das Wetter an diesem Tag ein anderes: es war stürmisch und zu unserem Pech wehte uns der Wind wieder mit voller Kraft ins Gesicht. Auf der flachen Ebene gab es fast nichts, das den Wind hätte abbremsen können und so schubsten uns die Böen herum und wir pedalierten mit aller Kraft dagegen an. So verausgabten wir uns an diesem Tag und kamen ziemlich erschöpft in unserem letzten laotischen Ort vor der vietnamesischen Grenze an: Lak Sao empfanden wir als den hässlichsten Ort, den wir bisher gesehen haben. Möglicherweise ist dies aber auch dem Wetter zuzuschreiben, denn der Wind wirbelte den Staub auf den Straßen auf, die Sonne verschwand hinter Wolken und es wurde ziemlich kühl. Dass es dann auch noch keine wirkliche Möglichkeit gab, windgeschützt etwas zu essen und es damit endete, dass wir nach einer Dusche in unserem Hotelzimmer auf dem Bett sitzend, eingepackt in unsere dicken Jacken (denn Heizungen gibt es nicht) ein paar Kekse knabberten, führte nicht dazu, dass wir den Ort mehr mochten. Etwas Schönes brachte Lak Sao aber mit sich, denn wir trafen Natascha und Kieran, die bereits seit 1,5 Jahren mit dem Fahrrad unterwegs sind. Wir waren im gleichen Hotel untergekommen und so tranken wir zusammen ein Bier in dem kühlen Eingangsbereich des Hotels und beschlossen, am nächsten Tag gemeinsam die Grenze nach Vietnam zu überqueren.
Wir fuhren nur einen Tag gemeinsam mit Natascha und Kieran, denn in Vietnam hatten wir unterschiedliche Pläne, und trotzdem brachte uns dieser Tag so viele unterschiedlichste Erlebnisse. Dass man so viele Stimmungen und Emotionen innerhalb eines Tages durchleben kann, hätten wir vorher nicht für möglich gehalten. Wir hatten einen schönen Start in Lak Sao. Leider hielt der Wind immer noch an, aber wir fuhren für das Frühstück auf den lokalen Markt und probierten leckere lokale Snacks aus, die Stimmung war gut und wir schafften es sogar, auf dem Markt unsere restlichen laotischen Kip in vietnamesische Dong zu einem super Kurs zu wechseln. Voller Vorfreude auf einen schönen Tag mit anderen Reiseradlern machten wir uns auf den Weg zur 30 km entfernten Grenze. Nach etwa 10 km gerieten wir jedoch in eine Situation, die uns noch lange im Nachhinein beschäftigen sollte. Wir fuhren die kurvige und schmale Straße entlang und kamen auf einen Verkehrsstau zu. Aus unserer Erfahrung wussten wir, dass sich hier ein Unfall ereignet haben musste und die Straße deswegen kurzzeitig für Autos nicht passierbar war. Da wir uns bisher mit unseren Fahrrädern aber immer leicht an den umgekippten LKWs vorbei schlängeln konnten, fuhren wir an den wartenden Autos vorbei. Als wir der Unfallstelle näher kamen, wurde uns bewusst, dass dies eine andere Situation war, als die die wir bisher gesehen hatten: Ein SUV stand mit eingebeultem Kotflügel mitten auf der Straße, davor lag ein Motorrad und Gemüse war auf der Straße verteilt. Am Straßenrand kauerte ein Mann und weinte und jammerte laut. Neben ihm lag eine Frau mit dem Gesicht im Gras und rührte sich nicht. Um sie herum standen untätig die Insassen der wartenden Autos. Uns wurde klar, dass sich der Unfall gerade erst ereignet haben musste und offensichtlich niemand in der Lage war, zu helfen. Ohne zu zögern und ohne wirklich nachzudenken, in welche Situation wir uns damit begeben, hielten wir an, stiegen von unseren Fahrrädern, schauten uns gegenseitig an und sagten: “Das schaffen wir jetzt gemeinsam!” Wir gingen auf das Paar am Boden zu, die Blicke der Umstehenden auf uns. Ohne über mögliche kulturelle Tabus nachzudenken, arbeiteten wir unsere “Checkliste”, die wir während unseres Erste-Hilfe-Kurses in Deutschland gelernt hatten, ab. Die Frau war nicht bei Bewusstsein und Atmung und Puls konnten wir nicht feststellen. Wie im Kurs gelernt, führte Thorsten die Herz-Druck-Massage durch während sich Sabine um den Mann kümmerte und mit Händen und Füßen einem Mann mit Handy in der Hand die Anweisung gab, einen Notarzt zu rufen. Keiner der umstehenden Laoten schien Englisch zu verstehen. Ein Vietnamese, der Englisch sprach, konnte schließlich vermitteln, sagte “Doctor is coming, 5 minutes” und deutete nach einer Weile auf einen Pickup. Zwei Männer luden die Frau auf die Ladefläche und setzten die Herz-Druck-Massage nach kurzer Anweisung von uns fort. Der Mann wurde ebenfalls in ein Auto geladen und in ein Krankenhaus gebracht. Ein wenig zitterig stiegen wir wieder auf unsere Fahrräder und suchten einen ruhigen Platz, um erst einmal Luft zu holen und über das Geschehene zu reden. Wir waren erstaunt darüber, dass es offensichtlich keine notfallmedizinische Versorgung gab obwohl eine größere Stadt nur 10 km entfernt lag. Die Tatsache, dass keiner der Leute am Unfallort sonst Bescheid gewusst hatte über Erste Hilfe erstaunte uns weniger. Sicherlich weiß auch in westlichen Ländern bei Weitem nicht jeder, was in einer solchen Situation zu tun ist. Wir müssen sagen, dass wir uns durch den Erste-Hilfe-Kurs in Bochum in unserem Handeln sehr sicher waren und möchten uns gar nicht vorstellen, wie wir uns gefühlt hätten, wenn wir aus Unwissenheit in der Situation nicht hätten helfen können. Umso mehr bewundern wir den Mut der beiden Männer, die die Frau auf den Pickup geladen hatten und einfach das, was sie bei Thorsten gesehen hatten, versuchten nachzumachen. Ihr Handeln zeigte, dass auch sie die Hoffnung für die Frau nicht aufgegeben hatten, obwohl sie sich medizinisch das ganze vermutlich nicht erklären konnten, da ja kein Puls zu fühlen war. Wie es dem Paar ergangen ist, wissen wir nicht. Aber für uns zählt, dass wir helfen konnten, einfach wussten, wie wir handeln können, um das Überleben der Frau so wahrscheinlich wie möglich zu machen und den Schockzustand des Mannes zu lindern.
Für uns war es wichtig, direkt nachdem wir uns beruhig hatten wieder aufs Fahrrad zu steigen. Der gehörige Gegenwind sorgte dafür, dass wir unsere ganze Energie in das Fahrradfahren stecken mussten. Auch hatte der Grenzübertritt nach Vietnam einen wohltuenden symbolischen Charakter, denn so konnten wir den Vorfall räumlich hinter uns lassen. Das neue Land zwang uns dazu, uns gedanklich auf etwas Neues einzulassen und der Vorfall vom Morgen rückte in den Hintergrund.
Der Grenzübertritt nach Vietnam war ein wenig amüsant und erforderte Beharrlichkeit und Verhandlungsgeschick. Sowohl die laotischen als auch die vietnamesischen Beamten verlangten von uns für den Ausreise- bzw. Einreisestempel eine “Gebühr” von 1$ pro Stempel. Wir blieben stur und demonstrierten, dass wir weder Dollar noch anderes Bargeld dabei hatten, da wir unsere letzten laotischen Kip in Proviant investiert haben. Unsere einzige “Währung” namens Keks wollten sie allerdings nicht akzeptieren und so konnten wir nach wiederholtem Fragen nach der “Gebührenordnung” ohne Bestechungsgelder über die Grenze. Vietnam begrüßte uns schwungvoll mit einer perfekten Abfahrt über 15 km. Wir fuhren durch kleine Dörfer, in denen uns die Frauen mit runden, spitzen Reishüten auf dem Kopf und einem breiten Grinsen grüßten. Verwundert sahen wir, dass die Leute in den Dörfern komische, große Gebilde mit einer kleinen Höhle in der Mitte aus Planen und Plastiksäcken, die silbern angesprüht waren, aufbauten. Wir hielten an und fanden in einem “Gespräch” mit einigen Vietnamesen heraus, dass es sich um eine christliche Krippe handelte. Kurze Zeit später radelten wir durch ein anderes Dorf, in dem wir Frauen am Straßenrand sahen, die Waffeln mit einer gelben Paste aus Ingwer und Erdnüssen bestrichen. Das mussten wir natürlich probieren und das Cu Do, welches eine lokale Süßigkeit ist, entpuppte sich als der perfekte Proviant fürs Radfahren.
Natascha und Kieran machten sich am nächsten Tag auf direktem Weg zur Küste nach Hue, während wir das bergigere Hinterland erkunden wollten. Wir fuhren auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad Richtung Süden und wurden nicht enttäuscht von unserer Entscheidung. Wie wir bereits gelesen hatten, war hier tatsächlich relativ wenig Verkehr (im Vergleich zu Laos viel, aber für Vietnam ist diese Straße sehr ruhig) bei gleichzeitig guter Straßenqualität und abwechslungsreicher Landschaft. Wir stellten fest, dass der vietnamesische Verkehr wieder sehr dem chinesischen ähnelt: es wird laut und viel gehupt und ziemlich risikoreich überholt. Somit versuchten wir, den Hauptverkehrswegen möglichst aus dem Weg zu gehen. Wir verließen für kurze Zeit sogar den Ho-Chi-Minh-Pfad, um in Dong Le eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Wir merkten schnell, dass wir hier auf Wegen unterwegs waren, die sonst wohl nur sehr selten von anderen Touristen genutzt werden. Die Leute in den Dörfern flippten aus, wenn sie uns erblickten – Kinder und Erwachsene gleichermaßen – riefen laut “Hello! What´s your name?”, was natürlich eine nette Art ist, ein Gespräch zu beginnen, aber im Vorbeifahren ist diese Konversation doch etwas schwierig, zumal sie unsere Antwort scheinbar gar nicht verstanden und auf unsere Gegenfrage “What is your name?” oft nur ein Kichern oder Lachen als Antwort parat hatten. Es waren wunderschöne Kilometer: friedlich, harmonisch und ein perfekter Start in das für uns neue Land. Wir fühlten uns willkommen! Unsere Hotelsuche in Dong Le verlief ohne Probleme. Man hält einfach Ausschau nach einem Schild mit der Aufschrift “Nha Nghi” (was Hotel bedeutet). In Vietnam konnten wir die Beschilderung endlich wieder lesen, nachdem wir uns in China und Laos manchmal wie Analphabeten gefühlt hatten. In Dong Le wurden wir angeschaut wie Aliens. Hierhin hatte sich vielleicht noch nie ein Tourist verirrt – zumindest fühlte es sich für uns so an. Wir gingen auf den Markt, um ein Abendessen zu finden. Überall schauten uns die Leute an, lächelten breit und riefen “Hello!”. Interessant für uns waren auch die Preisverhandlungen. In Gegenden, in denen die Menschen an Touristen gewöhnt sind, wird von den Touristen natürlich sofort ohne mit der Wimper zu zucken ein doppelter bis dreifacher Preis verlangt. Vor allem in Vietnam, so hatten wir bereits gehört, sei dieses zweipreisige System sehr etabliert. Die Markthändler in Dong Le haben aber kaum Umgang mit Touristen. Als wir ein paar Snacks zu (wie wir fanden) sehr fairen Preisen kauften, breitete sich ein Grinsen auf dem Gesicht der Verkäuferin aus, als wir ihr die Geldscheine in die Hand drückten und einer Gruppe von Mädchen, die neugierig zugeschaut hatten, was wir uns ausgesucht hatten, hielt sie die Scheine unter die Nase, wedelte damit herum und sagte etwas voller Stolz in der Stimme. Wir mussten einfach nur grinsen. Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn auch mal andere Leute vom Tourismus profitieren können und solange wir die Preise fair finden, sind ja alle glücklich :) Nach den Snacks füllten wir unsere Mägen mit der besten Pho (Nudelsuppe), die wir bisher hatten und das wieder zu einem sehr fairen Preis.
Von Dong Le ging es erneut in touristische Regionen. Wir wollten die erst im Jahr 2005 entdeckte und 2010 für Besucher freigegebene “Paradise Cave” anschauen, eine Tropfsteinhöhle, die sich über 31 km erstreckt. Unser Weg führte uns durch den Phong-Nha-Nationalpark vorbei an einer beeindruckenden Karstlandschaft und vielen braunen und schlammigen Reisfeldern, die die Reisbauern mithilfe von Wasserbüffeln umpflügten. Um zur Höhle zu gelangen, mieteten wir uns einen Roller. Das erste Mal seit Monaten hatten wir also mal wieder einen Motor unterm Hintern und da wir beide noch nie Roller oder Motorrad gefahren waren, war das eine aufregende Sache für uns. Nach einiger Zeit fühlten wir uns aber sicher und hatten ein Gefühl für das Fahren auf dem Roller entwickelt. Und dass weder die Tank- noch Geschwindigkeitsanzeige funktionierte, störte uns nicht ;) Wir brausten (gefühlt ca. 30 km/h) ohne uns anstrengen zu müssen durch die bergige Landschaft. Auf der Straße fuhren eigentlich nur die Touristen, die ebenfalls auf ihren Rollern auf dem Weg zur Höhle waren. Die Höhle selber war wirklich beeindruckend. Dass wir nur die ersten 1,5 km der Höhle begehen konnten, war gar nicht schlimm. Die Stalaktiten und Stalakmiten (die wir dank einer tollen Eselsbrücke von Florian nun auch namentlich unterscheiden können ;) ) waren dezent beleuchtet, es spiegelten sich die skurrilen Formen in kleinen Seen und es waren nur sehr wenige andere Touristen dort. Noch am gleichen Nachmittag tauschten wir unseren Roller wieder gegen unsere leisen und liebgewonnenen Fahrräder ein und fuhren bis nach Dong Hoi.
Weihnachten rückte immer näher und wir wollten uns ein “gemütliches” Plätzchen mit gutem Essen für die Feiertage gönnen. Unser Ziel war Hue, eine frühere Hauptstadt Vietnams. Um ein wenig Zeit zu sparen entschieden wir uns für kurze Zeit auf dem Highway 1 zu fahren. Die Fahrt auf dem Highway war geprägt von starkem Rückenwind, ohrenbetäubendem Hupen, staubigen engen Baustellen und knapp überholenden Fahrzeugen aller Art. So machte das Radfahren wenig Spaß und wir nahmen uns vor, den Highway 1 so gut es geht zukünftig zu meiden. Wir fuhren schon nach 60 km ab auf eine kleine Straße, die uns zu den Vinh Moc Tunneln direkt am chinesischen Meer führte. Diese Tunnel wurden während des Vietnam-Kriegs gegraben, um das Leben in den Dörfern auch während des ständigen Bombardemands durch die Amerikaner weiterführen zu können. Dafür wurden ganze Dörfer unter der Erde gebaut. Die Vinh Moc Tunnel stellen eins dieser Dörfer dar, welches für die Nachwelt erhalten wurde. Es war absolut beeindruckend und gleichzeitig auch bedrückend durch diese Tunnel zu laufen und sich vorzustellen, wie hier auf kleinstem Raum 600 Leute Tag für Tag lebten und kämpften. Gleichzeitig erhaschten wir bei den Tunneln einen ersten Blick auf das chinesische Meer! Das war das erste Mal seit Istanbul, dass wir wieder am Meer waren. Glücklich rollten wir danach auf einer kleinen Straße am aufgewühlten Meer entlang. Das Wetter passte sich immer mehr der rauen See an und wurde ungemütlich. Wir näherten uns Hue, eine der regenreichsten Städte Asiens. Um nicht wieder auf dem Highway 1 fahren zu müssen, nahmen wir einige Kilometer Umweg in Kauf und fuhren vorbei an Wasserbüffeln, die auf schlammigen Feldern grasten, und Reiern und Enten, die in den unter Wasser stehenden Feldern Nahrung suchten. Die Straße führte uns schließlich kurz vor Hue durch ein Schwemmgebiet, welches total unter Wasser stand. Die Szenerie sah ein wenig unheimlich aus, da die Bewohner diese Schwemmflächen für ihre Friedhöfe nutzen und so immer wieder Friedhofsinseln aus dem Nebel mitten im Wasser auftauchten.
Heiligabend verbrachten wir in Hue und beschenkten uns selber mit Regenponchos und richtig leckerem Essen. Die Stadt selber hat uns nicht vom Hocker gehauen, was aber wahrscheinlich auch daran lag, dass wir uns auf Grund des anhaltenden Regens nur die alte Herrschaftsresidenz angeschaut haben. Anstatt also noch die Weihnachtstage zu entspannen schwangen wir uns direkt am ersten Weihnachtstag wieder auf unsere Räder. Die Weihnachtsgeschenke mussten schließlich auch getestest werden und so fuhren wir mit unseren leuchtend grünen Regenponchos in Richtung Wolkenpass. Der Wolkenpass bildet eine Wetterscheide zwischen Nord- und Südvietnam und wir hofften auf besseres Wetter südlich des Passes. Der Blick auf das weite Meer, die Küste und die Wolkenspiele am Berg machten die Überquerung des Passes einmalig. Man konnte die vorbeiziehenden Wolken nicht nur in der Ferne beobachten sondern war auch plötzlich mitten in ihnen. Kombiniert mit einer sanften Steigung und einem regenfreiem Anstieg war es die schönste Strecke die wir an der vietnamesischen Küste gefahren sind.
Die alte Handelsstadt Hoi An, etwas südlich des Wolkenpasses gelegen, überraschte uns sehr positiv. Hier fanden wir nicht nur wärmere Temperaturen und weniger Regen vor, sondern trotz der vielen Touristenshops, Restaurants und Hotels bzw. Home stays auch eine tolle Atmosphäre! Wir genossen es einfach, durch die Stadt entlang des Flusses zu schlendern, ein paar alte Versammlungshäuser und Tempel chinesischer Händler anzuschauen und nachts die schöne Beleuchtung zu bewundern. Wir trafen viele Radfahrer, unter anderem auch Penny und Eric und Natascha und Kieran und alte Bekannte aus Bukhara in Usbekistan, Iris und Victor.
Wir entschieden uns, nach Hoi An wieder ins Landesinnere zu radeln. Zwar gefielen uns das Meer und die leichte Versorgungslage in der bevölkerten Küstenregion, doch der Verkehr war damit auch deutlich mehr und die Menschen schienen eher an unserem Geld interessiert zu sein. Mit dem Übersetzen über den Fluss in Hoi An radelten wir auf der anderen Seite zwischen zart-grünen Reisfeldern hindurch und die Sonne zeigte sich. Wir verließen die flache Küste und tauchten wieder in bergigere Gegenden ein, die weniger touristisch sind. Mit dem, dass es keine Touristen mehr um uns herum gab, fiel allerdings auch Silvester ziemlich unspektakulär aus. Die Vietnamesen haben nämlich einen Kalender, der sich nach dem Mond richtet und nach dem das neue Jahr 2015 in unserem Februar beginnt. Eine schöne Überraschung gab es dennoch. Als wir gerade in Kham Duc ankamen, standen Ursula und Achim vor uns, die für 6 Monate ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs sind. Wir hatten die beiden bereits auf der Straße bei Kong Lor getroffen und freuten uns sie wieder zu sehen. Wir gingen abends gemeinsam essen und feierten am nächsten Morgen unser Neujahr nach deutscher Zeit mit dem Start in einen sehr anstrengenden Tag mit vielen Höhenmetern. Zusammen ließen wir die Regenzeit hinter uns und nach einem kurzen Schauer kam den restlichen Tag die Sonne immer mal wieder zwischen den Wolken hervor. Um uns herum waren nur grüne mit dichtem Dschungel bewachsene Berge und beeindruckende Wasserfälle und wir verloren uns in Gesprächen mit den beiden, wobei wir das ständige Auf und Ab fast vergaßen. Wir schlossen diesen Tag im Dunkeln nach 110 km und 1839 Höhenmetern ab – mit dieser Höchstleistung war es ein super Start ins neue Jahr!
Auch der nächste Tag war wieder von viel Auf- und Abfahren geprägt, allerdings mit weniger interessanter Landschaft. Wir kamen abends in Pleiku an, die letzte größere Stadt vor der Grenze zu Kambodscha. Hier in dieser untouristischen Stadt merkten wir noch einmal, wie wohl wir uns in Vietnam fühlten. Wir konnten selbst hier noch neue kulinarische Entdeckungen machen und verbrachten einen netten Abend mit Curry-Suppe (pho bo kho) und Sapodilla-Shakes auf kleinen Plastikstühlen mitten auf dem Gehweg statt unseres abendlichen Bieres. Unser letzter Tag in Vietnam war ein leichter. Wir hatten keine Infos darüber finden können, inwieweit es Hotels unmittelbar vor und nach der Grenze gibt. Wir wählten daher die sichere Variante und nahmen uns Chu Ty als Tagesendziel vor, wo es Unterkünfte geben sollte – 60 km auf flacher Strecke. Für alle, die die gleiche Strecke beabsichtigen zu fahren: Es gibt ein Hotel sowohl auf der vietnamesischen als auch kamodschanischen Seite direkt an der Grenze. Unser entspannter letzter Tag in Vietnam war ein Genuss nach den härteren Tagen zuvor. Wir begannen den Tag mit der Besichtigung eines Tempels in Pleiku, was eine sehr schöne Erfahrung war. Die Anlage strahlte eine angenehme Ruhe aus und es waren nur wenige vietnamesische Touristen dort. Nach einem Kaffee nahmen wir die Kilometer in Angriff. Trotz des wenig anstrengenden Tages, gönnten wir uns wie immer ein leckeres Abendessen und wurden von den Nachbartischen abwechselnd zu vietnamesischem Vodka (Reisschnaps) eingeladen. Thorsten stand an diesem Abend auf 8 Beinen ;)
Wie jeden Morgen füllten wir den freien Platz in unseren Taschen mit belegten Baguettes, tranken noch einen schnellen Kaffee und radelten los. Die Bewohner in den Dörfern machten uns richtig Freude. So viel Fröhlichkeit haben wir nicht oft erlebt. Die Vietnamesen machten uns den Abschied schwer! Ein wenig wehmüig aber auch sehr gespannt auf ein neues Land übertraten wir die Grenze. In Kambodscha sahen die Dörfer nun wieder aus wie die laotischen: Bambus- und Holzhütten auf Stehlen und kleine Shops säumten die Straßen. Während wir in Vietnam vorrangig Massivhäuser sahen, die oft auch zweigeschossig waren, fühlten wir uns nun wieder nach Laos zurückversetzt. Allerdings erschienen uns die Menschen hier in Kambodscha bisher deutlich ruhiger und ein wenig ernster – aber dieses Bild kann sich noch wandeln, wir sind ja gerade erst in Kambodscha angekommen. Hier in Ban Lung haben wir endlich die entsprechend inspirierende Umgebung gefunden, um diesen langen Reisebericht zu schreiben. Außerdem haben wir uns Zeit genommen, um den lokalen Markt zu erkunden, Geld zu wechseln und uns einfach ein wenig zurecht zu finden. Eine erfrischende Kokosnuss am Straßenrand läutete unsere Urlaubsstimmung ein B)