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Die kleinen Hobbits im Balkan

Die kleinen Hobbits im Balkan

17. Mai2014

Wir sind am schwarzen Meer! Ein wichtiges erstes Zwischenziel ist erreicht und wir sind richtig stolz auf unsere Leistung! In Nessebur angekommen entspannen wir nun ein paar Tage inmitten des inzwischen für uns ungewohnten touristischen Trubels. Im Vergleich zum Bulgarien was wir mit dem Fahrrad kennengelernt haben, erscheint uns die Touristenhochburg am Schwarzen Meer skurril und wenig bulgarisch. In unserem wunderschönen Zimmer mit Meerblick (ein guter Geheimtipp für nur 22 € die Nacht, St. Georg’s Appartments) genießen wir unsere wohlverdiente Pause sehr. Unsere Muskeln wurden in den letzten Tagen wirklich sehr beantsprucht und benötigen Ruhe. Wir haben das Balkangebirge bezwungen und haben innerhalb einer Woche 4000 Höhenmeter gemacht. Für die Statistikfreunde ein kleiner Zwischenstand anhand unserer GPS-Tracks: Wir sind in 51 Fahrradtagen 3064 km (laut Bines Tacho 3153 km) in 193 Stunden gefahren. Dabei haben wir bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,9 km/h 13756 Höhenmeter überwunden. Die letzte Woche hat unsere Muskeln und Willenskraft also noch einmal auf eine besondere Probe gestellt. Auf der anderen Seite haben uns die Menschen, denen wir begegnet sind, unglaublich motiviert – ja teilweise sogar beflügelt, so dass wir nun zwar leicht schmerzende Oberschenkel haben, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht gerne an die letzten Tage zurück denken.

Unser entspannter Tag in Vratsa hat sich bereits am ersten Tag bemerkbar gemacht: mit voller Kraft in den Beinen schafften wir 950 Höhenmeter auf 80 km. Die Straßenverhältnisse waren aber auch optimal, wir konnten auf wenig befahrenen, asphaltierten Straßen die Steigungen überwinden. Auf 650 m Höhe schlugen wir dann als Belohnung unser Zelt mit Panomarablick auf – besser als jedes Fernsehprogramm :-)

Am nächsten Tag wartete unser persönlicher Höhenrekord auf uns: Der Hauptpass über das Balkangebirge liegt auf 1375 m. Wir starteten auf 500 m bei 20°C und Sonnenschein mit kurzen Hosen und T-shirt. Je höher wir kamen, desto kälter wurde es und dann fing es auch noch an zu regnen! Die Berge waren wolkenverhangen und wir ahnten schon, dass wir am Ende der Anstrengungen wohl nicht einmal mit einem schönen Ausblick belohnt würden… Starke Muskeln und Nerven waren gefragt, zumal die Straßenverhältnisse auch nicht so optimal waren. Anfeuerndes Hupen, Daumen hoch und motivierende Zurufe von vorbei fahrenden Autofahrern machten aber alles wieter wett. Bei 9°C, schwitzend in kurzen Hosen und T-shirt erreichten wir dann den Gipfel in den Wolken. Also schnell Hosen lang gemacht, trockenes Shirt, Jacke und Handschuhe an und dann ging es 15 Minuten nur bergab. Mit schmerzenden Fingern vom vielen notwendigen Bremsen kamen wir unten im Tal in Pirdop an und gönnten uns ein Hotelzimmer, um uns aufzuwärmen und dem sich anbahnenden Gewitter aus dem Weg zu gehen.

Ab jetzt ging es zwischen Balkan und Sredna Gora im Tal entlang bis zum Schwarzen Meer. Unser Weg führte uns meistens auf der relativ viel befahrenen Nationalstraße 6 Richtung Osten. Die vereinzelten kleineren Landstraßen haben wir gemieden, da diese oft nicht geteert waren und deutlich mehr Steigungsmeter hatten. Ein kurzer Abstecher auf die Landstraße in den Ort Anton hat uns zum ersten Mal seit Deutschland wieder zum Schieben unserer Fahrräder gezwungen! Tolle Ausblicke von der Nationalstraße auf kleine Berge und Täler und wir waren glücklich, dass wir diesen leichten und schönen Weg gewählt haben. Die Nationalstraße sollte unser Begleiter bis kurz vor Nessebur bleiben.

Ab jetzt führte uns die Nationalstraße durch das Rosental. Felder von duftenden Rosen vor schneebedeckten Bergen. Die Rosen werden hier zur Gewinnung von Rosenöl angebaut und verarbeitet. Wir haben wieder einmal richtig viel Glück mit dem Wetter und werden nie nass bei Temparaturen um die 20°C. Jedoch wird die Nationalstraße langsam voller und so entschließen wir uns, einen Umweg über Landstraßen durch die Dörfer zu nehmen, um stressfreier zu reisen. Gerade für Thorsten ist es noch nicht immer einfach den Weg als Ziel zu sehen und zu verinnerlichen, dass Zeit keine Rolle spielt. Nicht in unsere Überlegungen mit einbezogen waren unsere schon etwas mitgenommen Fahrradreifen. Direkt beim ersten Zwischenstopp in einem Dorf müssen wir schon wieder Sabines Hinterreifen flicken. Schon zum dritten Mal auf unserer Reise! Ein näherer Blick auf den Mantel bringt uns zu dem Entschluss direkt neue Reifen zu bestellen, die uns hoffentlich in Istanbul erreichen. Auf schönen Landstraßen durch ein wildes Flusstal geht es aber glücklicherweise ohne weitere Pannen in Richtung Sliven. Unsere Möglichkeiten für die nächste Nacht diskutierend, treffen wir auf einen in Rennradmontur gekleideten Radfahrer – ein seltener Anblick auf bulgarischen Straßen! Wir sprechen ihn an und fragen ihn, ob er in Sliven einen guten Platz zum Zelten kennt. Seine Antwort: “My house!” In freudiger Erwartung auf einen Zeltplatz in einem behüteten Garten folgen wir Aleks nach Sliven hinein. Angekommen an seinem Haus stehen wir jedoch vor einem Rätsel: wo ist hier der Garten? Mitten in der Innenstadt von Sliven wohnt Aleks mit seiner Frau Vili in einem schönen Mehrfamilienhaus. Uns wird klar, dass Aleks uns nicht in seinen Garten, sondern in seine Wohnung eingeladen hat! Kommunikation mit Händen, Füßen und wenig Englisch offenbart immer wieder Überraschungen :) Wir werden sehr herzlich von den beiden aufgenommen. Auf Gäste nicht vorbereitet wird spontan der Metzger von gegenüber kontaktiert, der wunderbares Grillgut vorbei bringt. Wir werden sehr köstlich bekocht, trinken selbstgemachten Rakija und Wein und Aleks holt eine seiner drei Gitarren hervor und spielt und singt bulgarische Lieder (teilweise selber komponiert!). Wir haben einen unglaublich tollen Abend mit den beiden! Obwohl wir keine Sprache teilen, schaffen wir es, uns mit Händen und Füßen, Stift und Papier und wenn gar nichts mehr geht mit Google translate zu unterhalten und haben dabei sehr viel Spaß! Aleks ist selber begeisterter Reiseradler und war noch bis vor ein paar Jahren aktiver Extremsportler: 1200 km auf dem Fahrrad in 90h mit nur 3h Schlaf – wir sind beeindruckt! Außerdem skypen wir an diesem Abend noch mit der Familie ihres Sohnes, die seit Dezember in Deutschland lebt und arbeitet. Die Schwiegertochter erzählt uns in sehr gutem Deutsch, dass sie seitdem ohne Erfolg auf Wohnungssuche sind und sich im Moment zu dritt ein Zimmer teilen. Wir sind erschrocken darüber, wie schwer sie es haben, in Deutschland trotz aller Bemühungen Fuß zu fassen. Und dennoch sagen sie, es geht ihnen besser als noch in Bulgarien! Wir empfinden es als ungerecht, dass wir in Bulgarien – insbesondere bei Aleks uns Vili – so viel Fürsorge und Gastfreundschaft erfahren und ihre Kinder es in Deutschland so schwer haben.

Nach einem gemeinsamen Frühstück wollen wir uns bei trübem Wetter auf den Weg machen, Aleks will uns noch aus der Stadt heraus begleiten. Zunächst müssen wir aber wieder einmal einen Reifen flicken: Diesmal ist Thorstens Hinterrad platt. Bei regnerischem Wetter, aber mit Sonne im Herzen, einem Lächeln im Gesicht und einem Kilo Walnüsse von Aleks als Wegproviant fahren wir aus Sliven heraus in Richtung schwarzem Meer. Wir hoffen, Aleks und Vili irgendwann einmal wiederzusehen!

An Weinreben vorbei geht es auf der verkehrsreichen Nationalstraße entlang. Am Abend finden wir mal wieder einen schönen Platz für unser Zelt mit guter Aussicht und Privatsphäre – scheinbar perfekt, bis zum nächsten Morgen.. In der Nacht regnet und gewittert es heftig. Morgens ist jedoch die Sonne wieder da, um unsere Sachen zu trocknen. Mit Sandalen und kurzen Hosen wollen wir auf einen sonnigen Fahrradtag aufbrechen. Der Weg zurück zur Nationalstraße hat sich allerdings über Nacht verwandelt: Der Regen hat den lehmigen Boden aufgeweicht. Unsere Fahrräder lassen sich nach 5 m nicht mehr schieben, da der angesammelte Lehm zwischen Reifen und Schutzblech die Räder blockiert. Auch das Laufen fällt schwer. Mit zentimeterdicker Lehmschicht unter den Sandalen sehen wir aus wie die Hobbits mit ihren großen Füßen :) Wir tragen unsere Fahrräder bis zur Straße und brauchen etwa eine Stunde, um uns und unsere Fahrräder von dem klebrigen Lehm zu befreien – irgendwie alles trotzdem witzig ;)

Auf den Tag genau nach 2 Monaten erblicken wir dann das schwarze Meer! Voller Euphorie und Stolz auf unsere Leistung lassen wir uns bergab rollen und genießen den Ausblick. Die Türkei und damit Asien scheint zum Greifen nahe! Verrückter Gedanke, das alles mit dem Fahrrad geschafft zu haben! Am Meer angekommen können wir leider nicht das erhoffte Zielfoto mit Fahrrädern im Sand schießen. Überall sprießen Hotelbunker aus der Erde und versperren den Blick und den Zugang zum Meer. Das Foto wird aber nachgeholt, wenn wir in den nächsten Tagen die Küste weiter entlang fahren und zu wunderschönen, hoffentlich einsamen Stränden gelangen. Nun sind die Fahrräder erst einmal verstaut und wir ruhen uns mit dem typischen Touriprogramm (Strand, Sightseeing, Bier und Wein, Fußball gucken…) aus.

Gefahrene Strecke

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